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Vier Winde

Früher wurde auf einigen Landkarten statt des N für Norden auf der Windrose Boreas, der Nordwind, abgebildet. Bei den Griechen gab es acht Winde mit einem speziellen Charakter. Überliefert ist ihr Abbild in Darstellungen auf Reliefs am Fries des Turmes der Winde in Athen. Sie zeigen acht geflügelte Männer. Die Chinesen hingegen charakterisieren sogar zwölf Winde. Im Internet fand ich unter den Bauernregeln einen Spruch, der für unsere Region zutreffend ist: „Wenn die Winde geen von Occident, so ist gewonlich Regenwetter, von Orient schön Wetter, von Mitternacht kalt, hart Wetter, von Mitterntag schedtlich, ungesundt Wetter.“ Dieser Spruch, im Jahre 1561 im ersten deutschen Wetterbuch gedruckt, beschreibt typische Abhängigkeiten der Wettererscheinungen von der Hauptwindrichtung. Westliche Winde, in Mitteldeutschland vorherrschend, transportieren vom Atlantik immer wieder mal kalte, mal wärmere Luftmassen mit eingelagerten Störungen, die Niederschläge bringen. Dagegen bedeutet anhaltender östlicher Wind, dass nördlich von uns ein Hoch liegt, an dessen Südrand trocknere, kontinentale Luft aus Osten, manchmal sogar aus Sibirien, herangeführt wird. Mit dieser Luft erreicht uns in jedem Fall klares niederschlagsfreies Wetter – im Sommer große Hitze, im Winter große Kälte. Nordwind bringt kalte Luft aus dem Nordmeer, von Island oder Grönland heran. Gelegentlich können große Haufenwolken Regen- oder Hagelschauer entlassen, sonst ist der Himmel blau und die Luft klar. Mit dem Südwind kommt feuchtwarme Mittelmeerluft.
Es hat Spaß gemacht, die Winde aus den vier Haupthimmelsrichtungen als Männerbüsten zu charakterisieren. Ich wählte eine vereinfachte Zuordnung, weil unsere geografische Lage nicht mit der hellenistischen oder gar der chinesischen übereinstimmt. Vier Winde, vier Himmelsrichtungen, vier Charaktere, vier Farben, vier Lebensalter – die auch in den Jahreszeiten allegorisch ihr Ebenbild finden. Nicht zu überbieten sind der trotzige Stolz eines Zehnjährigen, der übermütige Elan eines Zwanzigjährigen, die körperliche Kraft eines Dreißigjährigen und die Beharrlichkeit eines Fünfzigjährigen. So erfand ich einen launischen Westwind, der dem ungebärdigen Zehnjährigen gleicht. Mit eleganter Leichtigkeit und cooler Kraft bläst der Ostwind die Regenwolken weg. Ich bildete einen jungen Mann mit den Launen eines Zephyrs – er lächelt verschmitzt und sein mitreißender Wind treibt Kobolzspiele mit unseren alten Hüten. Den eisigen Nordwind stellt ein grüner Klotz mit gelbem, stechenden Blick dar, der einen mächtigen Brustkasten hat. Boreas fürchteten auch die Griechen sehr. Der herbstliche Südwind ist eine dunkelrote Feuerwolke. Ich fand einen alten Mann mit treu sorgendem Blick und vielleicht einem Geschwätz ohne Ende. Auf bauchigen Wolkensockeln – wie auf einem mächtigen Luftkissenboot – stehen sie mit geballter Kraft in der Welt.

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